- 31.10.2022
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Einflussnahme und Marketingtricks der Tabakindustrie in Bosnien und Herzegowina
Die Tabakindustrie wird in der Regel nicht als Verfechterin des Umweltschutzes wahrgenommen, aber im Laufe der Zeit hat sie sich und ihren Produkten durch weltweite Initiativen ein «grünes Mäntelchen» umgehängt. Sogar ein neuer Bericht der Weltgesundheitsorganisation und von STOP (Stopping Tobacco Organizations and Products) zeigt, wie die Tabakindustrie daran arbeitet, ihr Image aufzupolieren, indem sie ihre Nachhaltigkeitsbemühungen durch branchenweite Greenwashing-Kampagnen zur Schau stellen. Philip Morris International (PMI) verfolgt seine Taktik auch im zigarettenverliebten Balkan, wo der Bürgermeister von Sarajevo kürzlich eine Partnerschaft mit dem Tabakriesen einging.
von Uliana Bakh und Jasmina Cekric (PROI)
Baumpflanzaktion, gesponsert von PMI
Fallbeispiel: Fassadenbild «Unsmoke Sarajevo»
Am 7. Dezember 2021 gaben die Bürgermeister der Stadt Sarajevo und der Gemeinde Stari Grad bekannt, dass sie im Rahmen der «Unsmoke»-Kampagne eine Vereinbarung mit PMI getroffen haben. Sie kündigten die Initiative an, ein «Unsmoke Sarajevo»-Fassadenbild im Stadtzentrum von Sarajevo zu erstellen. Die Aktion wurde als umweltfreundliche Initiative präsentiert, die zur Verbesserung der Luftqualität beitragen würde, da das Wandbild mit photokatalytischer Fassadenfarbe hergestellt werden sollte. Die Initiative ist ein anschauliches Beispiel für die Greenwashing-Bestrebungen von PMI. Gleichzeitig nutzte PMR diese Aktion als Marketingstrategie zur Förderung ihrer IQOS.
Nach der Ankündigung dieser von PMI initiierten Aktion forderten junge Aktivistinnen und Aktivisten des Youth Health Advocacy Board von PROI (Public Relations Organisation International) in einem Schreiben die Bürgermeister dazu auf, die Zusammenarbeit mit der Tabakindustrie zu beenden und Artikel 5.3 des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC) einzuhalten. Die Politiker ignorierten das Schreiben und überwiesen die PMI-Initiative zur Prüfung an den Stadtrat. Auch in der Plenarsitzung des Stadtrats wurde das Schreiben der jungen Aktivistinnen und Aktivisten nicht berücksichtigt. Darüber hinaus eröffnete die Stadtverwaltung unter dem Titel «Öffentliche Konsultation» eine Online-Umfrage zum Fassadenbild «Unsmoke Sarajevo» und wies die Initiative dem Gesundheitsbereich zu. PROI verurteilte das Vorhaben auch in Pressemitteilungen und Stellungnahmen in den Sozialmedien.
Die offizielle Webseite der PMI-Kampagne: «Unsmoke Your World»
Um die Umsetzung dieser für die öffentliche Gesundheitspolitik und für die Massnahmen zur Tabakbekämpfung in Bosnien und Herzegowina (BiH) gefährlichen Initiative zu verhindern, hat PROI ein zweites Schreiben zuhanden des Stadtrats von Sarajevo, des Bürgermeisters von Sarajevo, des Bürgermeisters der Gemeinde Stari Grad und des Gemeinderats von Stari Grad gerichtet, in welchem die Beendigung der Vereinbarung gefordert wurde. Das zweite Schreiben, das von 44 Organisationen der internationalen Gesundheitsgemeinschaft unterzeichnet wurde, forderte die Stadt Sarajevo und die Gemeinde Stari Grad auf, die Zusammenarbeit mit der Tabakindustrie zu beenden. Dies ist einer der seltenen Fälle, in denen – dank einer rechtzeitigen und koordinierten Gegenaktion – ein Greenwashing-Versuch der Tabakindustrie scheiterte.
Fassadengemälde «Unsmoke Sarajevo», bezahlt von PMI
Fallbeispiel: Einflussnahme auf die Abgeordneten im Parlament der Föderation Bosnien und Herzegowina
Das Gesetz zur Eindämmung des Tabakgebrauchs in der Föderation Bosnien und Herzegowina (FBiH) war sechs Jahre lang Gegenstand des parlamentarischen Verfahrens. Die Einflussnahme der Tabakindustrie führte dazu, dass die Aufnahme der Beratung in die Tagesordnung, seine Annahme und schliesslich die Verabschiedung des Gesetzestextes jahrelang blockiert wurden.
PROI organisierte eine umfassende Öffentlichkeitskampagne und verhinderte durch gezielte Advocacy-Arbeit, dass das Gesetz vollständig blockiert wurde. Es ist kein Geheimnis, dass sich Vertreterinnen und Vertreter der Tabakindustrie direkt an die Abgeordneten herangetreten sind und sie unter Druck gesetzt haben, die Interessen der Tabakindustrie zu vertreten und das Gesetz als zu strikt hinzustellen. Die Bemühungen zur Bekämpfung der Desinformation in der Öffentlichkeit und zur Aufklärung von über 90 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses und über 50 Abgeordnete des Hauses der Völker von BiH führten zur Verabschiedung des Anti-Tabak-Gesetzes, wenn auch nicht in seinem vollen Wortlaut. Obwohl es der Tabakindustrie nicht gelang, den Gesetzesentwurf zu kippen, gelang es ihr, das Gesetz dahingehend zu ändern, dass erhitzte Tabakerzeugnisse ausgeschlossen wurden.
Fallbeispiel: Kampagne «Stoppt den Schmuggel»
Im August 2020 kündigte die Verwaltungsbehörde für indirekte Besteuerung die Kampagne «Stoppt den Schmuggel» an. Diese Kampagne wurde in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Wirtschaftswissenschaftler SWOT durchgeführt, die seit langem mit der Tabakindustrie zusammenarbeitet und die Interessen der Tabakindustrie vertritt. [1] Die Kampagne – unterstützt von PMI, Japan Tobacco International und British American Tobacco – wurde von der Tabakindustrie selbst [2] und ihren Tarnorganisationen [3] als Lobbying-Instrument zur Senkung der Tabaksteuer genutzt.
Fallbeispiel: COVID-19-Spende an die Regierung
Im Mai 2020 nahmen die Regierung der FBiH [4]und die Regierung der Republika Srpska [5] jeweils eine Spende von PMI in Höhe von 100'000 USD für die COVID-19-Pandemiebekämpfung an. Die Regierung veröffentlichte auf ihrer Webseite eine Stellungnahme, in der sie die PMI-Spende begrüsst und erklärt: «Diese Spende trägt dazu bei, die Krisenzeit zu überwinden, welche durch die Einführung von Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie entstanden ist und die das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger, aber auch der Unternehmen beeinträchtigt. Diese Spenden sind ein wichtiger Beitrag zum Kampf gegen die Pandemie und sollen dazu beitragen, dass so wenig Menschen wie möglich die Folgen der Pandemie zu spüren bekommen und ihre Rehabilitation so schnell wie möglich erfolgt.» Die Regierung liess zudem verlauten: «Die Regierung der FBiH nutzt die Gelegenheit, um sich für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und die Spenden aus der Privatwirtschaft, aber auch von Einzelpersonen zu bedanken.» Später überreichte die föderale Zentrale für Zivilschutz PMI ein schriftliches Dankesschreiben für die erfolgreiche Zusammenarbeit und für ihren Beitrag zum Aufbau des Systems zum Schutz und zur Rettung von Menschen und materiellen Gütern in der FBiH.[6]
Fallbeispiel: «Unsmoke Sarajevo»-Kampagne
Im Februar 2020 nahmen zwei Gemeinden in Sarajevo – Sarajevo Centar und Novo Sarajevo – an einer PMI-Aktion mit dem Titel «Unsmoke Sarajevo» und einer Baumpflanzaktion teil. Der Bürgermeister von Sarajevo Centar, Nedžad Ajnadžic, der Bürgermeister von Novo Sarajevo, Nedžad Koldžo, und der PMI-Generaldirektor für BiH und Montenegro, Srdan Lazovic, nahmen an der Veranstaltung teil. Über die Aktion wurde in den Medien ausführlich berichtet, der Fokus lag insbesondere auf der Rolle von PMI als «sozial verantwortliches Unternehmen».
Nedžad Ajnadžic, der ehemalige Bürgermeister des Stadtbezirks Centar, Sarajevo (links), Srdan Lazovic, der Generaldirektor für Bosnien und Herzegowina und Montenegro bei Philip Morris International (Mitte), links von ihm: Nedžad Koldžo, ehemaliger Bürgermeister der Stadtverwaltung von Novo Sarajevo, Sarajevo. Person auf der rechten Seite unbekannt.
Fallbeispiel: Corporate Social Responsibility-Aktivitäten
PMI präsentiert sich als sozial verantwortliches Unternehmen, indem es beispielsweise Start-up-Inkubatoren unterstützt. So wurde im Oktober 2019 das erste regionale Start-up-Studio «Lonac» von der Stiftung «Mozaik» ins Leben gerufen. [7] Die Hauptpartner des Projekts waren die schwedische Agentur für internationale Entwicklungszusammenarbeit (Sida), PMI und die Gemeinde Centar in Sarajevo. Die wichtigsten Referenten der Eröffnungsveranstaltung waren Vertreter der Stiftung Mozaik, der PMI-Generaldirektor für BiH und Montenegro, Srdan Lazovic, der Missionsleiter der Sida, Torgny Svenungsson, Vertreter der schwedischen Botschaft in BiH und der Bürgermeister von Sarajevo Centar, Nedžad Ajnadžic.
Fazit
Diese Beispiele veranschaulichen die aktive Einflussnahme der Tabakindustrie auf die Politik und die Märkte in Bosnien und Herzegowina – einem Land mit einem schwierigen regulatorischen Umfeld. Die Tabakindustrie wendet mehrere ihrer unehrlichen Taktiken direkt aus ihrem klassischen Strategiebuch an. [8]
Demokratische Institutionen und die Zivilgesellschaft müssen wachsam bleiben und sich gegen Einmischungen wehren, welche die öffentliche Gesundheit in einem Land mit einer hoch problematischen Raucherprävalenz (38 %) gefährden. PROI setzt sich auch in Zukunft für die Stärkung der Massnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums ein: zunächst durch die Unterstützung der Umsetzung des kürzlich verabschiedeten Gesetzes zur Eindämmung des Tabakkonsums in der FBiH, dann im Zusammenhang mit der Verabschiedung weiterer Gesetze in einer anderen Verwaltungsinstanz, der Stärkung der in diesen Gesetzen vorgesehenen Massnahmen und der Erhöhung der Besteuerung aller Tabakprodukte im Land. Das gemeinsame Handeln von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren ist der Schlüssel zur Erreichung dieser Ziele, die alle dem Schutz der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger von Bosnien und Herzegowina dienen sollen.
PROI ist ein 2001 gegründeter Verein mit dem Ziel, die soziale Innovation zu stärken und die Lebensqualität durch die Entwicklung und Förderung effizienter strategischer Lösungen für die umfassende Entfaltung von Einzelpersonen, Organisationen und Unternehmen in Bosnien und Herzegowina und in der Region zu stärken.