Ein Nikotintsunami überrollt unsere Schulplätze

Jede:r dritte 15-Jährige hat in den letzten 30 Tagen vor der Befragung mindestens ein Tabak- oder Nikotinprodukt konsumiert. Die höchsten Raten werden bei der E-Zigarette verzeichnet. Sucht Schweiz hat die national repräsentative Studie HBSC, Health Behaviour in School-aged-Children, bei 11- bis 15-jährigen Schülerinnen und Schülern im letzten Jahr im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit durchgeführt.

Das klägliche Scheitern der eidgenössischen Tabakpräventionspolitik

Die soeben veröffentlichten Zahlen zur Entwicklung des Tabak- und Nikotinkonsums bei Jugendlichen sind besorgniserregend. Das plötzliche Auftauchen – teils während der COVID-19-Pandemie - neuer Produkte ((Einweg-)E-Zigaretten, Snus, Nikotinbeutel) zu unschlagbaren Preisen gab damals bereits Anlass zur Sorge. Es stellt sich nun die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Hinsichtlich Tabakprävention ist die politische Rückständigkeit der Schweiz sowohl offenkündig als auch selbst verschuldet. Dies hat zweierlei Gründe. Aufgrund eines schwachen und von einer skrupellosen Tabakindustrie vereinnahmten Parlaments, kennt die Schweiz bis heute noch keine Tabakproduktegesetzgebung. Frühestens Mitte 2024, und mit 20 Jahre Verspätung im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn, soll ein Tabakproduktegesetz in Kraft treten, das aber unzulänglich ist und aufs Minimum begrenzt wurde. Ferner ist die öffentliche Gesundheitsstrategie des Bundes in Sachen Tabakprävention zu einem kaum wahrnehmbaren Hintergrundrauschen verkommen.

Schnelle und strenge Jugendschutzmassnahmen sind dringend geboten, andernfalls dürften in 5 Jahren die Resultate der nächsten HSBC-Studie noch gravierender ausfallen. Die Probleme und die Lösungen sind bekannt. Jetzt braucht es entschiedenes Handeln.

Vor diesem Hintergrund ist es bedenklich, dass sich der Ständerat Mitte März lediglich für eine minimale Tabaksteuer auf E-Zigaretten durchringen konnte und für Snusprodukte die geltende Ministeuer nicht anheben will. Dabei ist unbestreitbar wissenschaftlich bewiesen, dass hohe Preise besonders bei Jugendlichen eine präventive Wirkung haben.

Die Zahlen der HBSC-Studie

37,7 % der Jungen und 34,7 % der Mädchen haben in den letzten 30 Tagen ein Tabak- oder Nikotinprodukt konsumiert. 7% der Jungen und 6% der Mädchen im Alter von 15 Jahren konsumierten im Jahr 2022 konventionelle Zigaretten an mindestens 10 Tagen im Laufe der letzten 30 Tage.

15-jährige Mädchen holen die Jungen auf (E-Zigarette, erhitzte Tabakprodukte, Snus):
Im Jahr 2018 konsumierten 20.6% der 15-jährigen Jungen in den letzten 30 Tagen E-Zigaretten. Bei 15-jährigen Mädchen lag der Konsum bei 12.9%. Im Jahr 2022 stiegen die Zahlen auf 25.1% bei Jungen und 25% bei Mädchen. Bei den erhitzten Tabakprodukten haben sich die Raten mehr als verdreifacht. Snus haben 13% der 15-jährigen in den letzten 30 Tagen mindestens einmal konsumiert, doppelt so viel wie 2018. Auch bei gleichaltrigen Mädchen gab es eine deutliche Zunahme (von 1% auf 6%).

Politik muss handeln:

Nach dem Rückgang zwischen 2010 und 2014, steigen die Ergebnisse im Jahr 2022 wieder.

Jugendliche probieren Substanzen früher aus und neue Produkte kommen hinzu, ohne dass der Zigarettenkonsum abnimmt. Die Ausweitung des Konsums von Produkten wie E-Zigaretten oder Snus muss gestoppt werden. Es braucht dringend regulatorische Massnahmen, um die Attraktivität und den Zugang zu reduzieren. Somit sind folgende Punkte wichtig:

  • Strikte Umsetzung der Initiative «Kinder ohne Tabak» nötig
  • Einführung neutraler Packungen für sämtliche Produkte
  • Preise erhöhen

Jugendliche: eine besondere Gruppe

Der Konsum psychoaktiver Substanzen birgt bei Jugendlichen besondere Herausforderungen. Der sich im Wachstum befindende Körper ist anfälliger für die Schäden des Substanzkonsums und es besteht ein höheres Risiko, später eine Abhängigkeit zu entwickeln. Schutz ist also nötig, mit strukturellen Massnahmen bei der Werbung, dem Zugang, bei Preis, der Verpackung und bei den Aromen.

Dazu gehört:

Attraktivität vermindern:

  • Ein umfassendes und absolutes Verbot jeglicher Form von Werbung gegenüber Jugendlichen, insbesondere in sozialen Netzwerken und im Internet
  • Marketing stark einschränken (Design, Verpackung, Verkaufsort, Werbeträger…)
  • Vorschrift, dass die Produkte in Verkaufsstellen, zu denen Minderjährige noch Zugang haben, nicht mehr sichtbar sein dürfen

Zugang einschränken:

  • Einführung eines Lizenzsystems für den Verkauf von Nikotin- und Tabakprodukten mit einfachem Widerruf dieser Lizenzen und hohen Geldstrafen, die eine abschreckende Wirkung haben können
  • Eine starke Preiserhöhung für alle Produkte durch eine wirksame Besteuerung, insbesondere für Zigaretten mit einem Mindestpreis von 20 Franken pro Schachtel, aber auch für andere Produkte
  • Jugendschutz: Verkaufsverbot an Minderjährige und Vollzug

Verbesserung der Prävention für Jugendliche

  • Erhöhung der für die Prävention verfügbaren Mittel durch eine Verdoppelung der Gelder zuhanden des Tabakpräventionsfonds (TPF)
  • Entwicklung spezifischer Präventionsangebote für Jugendliche, insbesondere für solche aus sozial benachteiligten Verhältnissen und Migrant:innen

Lesen Sie den vollständigen Bericht hier:

https://bit.ly/3nsUiv7

Lesen Sie die Factsheets zu den Ergebnissen hier:

https://bit.ly/3ZCiitb

DIE STUDIE HBSC

Die Schülerinnen- und Schülerstudie HBSC (Health Behaviour in School-aged-Children) ist eine internationale Studie, welche in mehr als 50 Ländern unter der Schirmherrschaft der Weltgesundheitsorganisation (WHO-Europa) durchgeführt wird. Seit über 30 Jahren untersucht Sucht Schweiz das Gesundheitsverhalten, darunter den Substanzkonsum der Jugendlichen in der Schweiz. An der nationalen Studie beteiligten sich im Erhebungsjahr 2022 total 636 Klassen mit 9’345 Schülerinnen und Schülern im Alter von 11 bis 15 Jahren. Die Studie wird vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Mehrzahl der Kantone finanziert.

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