Der Filterbetrug
Filter werden von der Tabakindustrie als wirksames Mittel gegen Schadstoffe im Rauch angepriesen, sind aber nutzlos. Sie sind sogar für die Zunahme bestimmter Krebsarten verantwortlich.
Die ersten Filtersysteme für Zigaretten gab es um 1860. «Damals ging es darum, zu verhindern, dass Tabakpartikel in den Mund des Rauchers gelangen», erklärt Thomas Novotny, Experte für die gesundheitlichen Folgen des Rauchens an der Universität San Diego. Das Wort «Filter» hingegen tauchte zum ersten Mal um die Wende zum 20. Jahrhundert auf. Richtig populär wurde es aber erst in den 1940er und 1950er Jahren. «In dieser Zeit wurde man sich der gesundheitsschädlichen Folgen des Rauchens, insbesondere des Lungenkrebsrisikos, bewusst», betont der Epidemiologe.
Die Tabakindustrie erkannte, dass sich dies negativ auf ihren Absatz auswirken würde. Sie suchte deshalb nach Möglichkeiten, die Inhalation von Schadstoffen zu minimieren. Zu diesem Zweck wandten sich die Zigarettenhersteller an renommierte Forschungszentren wie die Princeton University sowie an die US-amerikanischen Chemie- und Kunstfaserriesen Dow, DuPont, Eastman Kodak und Celanese.[1] In dieser Zeit wurden Dutzende von Patenten für Tabakfiltersysteme angemeldet.
Verschiedene Methoden wurden ausprobiert und wieder verworfen. Naturfasern wie Baumwolle und Wolle erwiesen sich als zu inhomogen, um sie in grossem Massstab herzustellen. Die Herstellung von Zigaretten ist weitgehend automatisiert, mit Maschinen, die 250 Stück pro Sekunde produzieren.[2]
Die Lorillard-Gruppe interessierte sich für einen Filter aus Krepppapier und Asbestfasern namens Kent Micronite. Die Raucherinnen und Raucher fanden den Filter jedoch zu effektiv und mochten den Geschmack ihrer Zigaretten nicht mehr, der fade geworden war. Er wurde wieder aufgegeben.[3] Weitere Innovationen waren ein Filter, der befeuchtet werden konnte, um die Teeraufnahme zu erhöhen, der aber als zu teuer und zu kompliziert in der Herstellung galt, und ein Filter mit Aktivkohle, der mehr gasförmige Stoffe zurückhielt, aber nicht die gewünschten Ergebnisse brachte, weil die Temperatur der Zigarette zu hoch war.[4]
Die Tabakindustrie einigte sich schliesslich auf den Filter aus Celluloseacetatfasern, der einfach und kostengünstig in grossen Mengen hergestellt werden kann. Die Filter werden durch Behandlung von Zellulose aus Holzschliff mit Essigsäureanhydrid gewonnen. Dabei entstehen Celluloseacetatflocken, die in Aceton gelöst und aus einer Spinnlösung als feste Fäden extrudiert werden. Diese werden zu einem Band zusammengefügt und an Zigarrenhersteller geliefert, die daraus einen langen, in Segmente geschnittenen Schaumstoffschlauch herstellen.[5] Die Herstellung dieser neuen Filter wurde bald von den Firmen Celanese und Eastman Kodak dominiert.
Diese Innovation ermöglichte es den Zigarettenherstellern, eine Werbebotschaft zu entwickeln, die Zigaretten als gesünder und geschmacklich «milder» anpries. In den 1970er und 1980er Jahren kam eine weitere Innovation hinzu: die Belüftung durch winzige Perforationen in den Filterwänden, die bei jedem Zug Luft in den Rauch blasen und so die Schadstoffe verdünnen.[6] Dies war die Geburtsstunde der «Light»-, «Ultra-Light»- und «Niedrig-Teer»-Zigaretten.
Einziges Problem: Die inhalierte Rauchmenge wird mit einer Maschine gemessen, die alle 2 Sekunden Züge von je 35 ml nimmt. «In der Realität rauchen die Menschen aber nicht so», gibt Thomas Novotny zu bedenken. Manchmal verdecken sie bewusst oder unbewusst die Perforationen des Filters mit den Fingern. Ausserdem neigen sie dazu, mehr Züge zu nehmen und tiefer zu inhalieren, um den Nikotinverlust durch den Filter auszugleichen. Da sie glauben, weniger gefährliche Zigaretten zu rauchen, riskieren sie auch, mehr zu konsumieren, so Novotny.
Studien, die die tatsächlich inhalierten Schadstoffmengen von Raucherinnen und Rauchern durch die Analyse bestimmter Biomarker im Urin oder in der Atemluft messen, bestätigen diesen Effekt: Sie sind für Zigaretten mit und ohne Filter nahezu identisch.[7]
Die mangelnde Wirksamkeit von Filtern ist keine neue Erkenntnis. Sie wurde bereits Mitte der 1960er Jahre vom Surgeon General der Vereinigten Staaten festgestellt.[8] In jüngerer Zeit hat ein niederländisches Gericht 2022 festgestellt, dass Rauchmessgeräte die Menge der eingeatmeten Schadstoffe systematisch unterschätzen, insbesondere Nikotin, Teer, Kohlenmonoxid und Aldehyde, die zu den giftigsten Bestandteilen des Rauchs gehören.[9] Heute sind die Bezeichnungen «light», «mild» und «niedriger Teergehalt» sowohl in der Europäischen Union als auch in der Schweiz verboten.[10]
Auch die Tabakindustrie weiss spätestens seit Ende der 50er Jahre, dass ihre Filter keinen Einfluss auf die Gesundheit der Rauchenden haben. In einer Präsentation vor dem Forschungs- und Entwicklungsausschuss von Philip Morris im Jahr 1961 erklärte der damalige Vizepräsident für Forschung und Entwicklung, H. Wakeham, dass die verfügbaren Technologien «nicht in der Lage sind, Rauchpartikel selektiv zu filtern».[11] Das Unternehmen versuchte aktiv, diese Tatsache zu verschleiern, da es wusste, dass ein wirksamer Filter die Nikotinmenge und das Gefühl, Rauch einzuatmen, verringern würde, die für die Abhängigkeit vom Rauchen von entscheidender Bedeutung sind.
Doch der Filter ist nicht nur ein wirkungsloses Anhängsel, er birgt auch Gefahren. «Seit der Einführung des Filters hat das Adenokarzinom das Plattenepithelkarzinom als häufigsten Lungenkrebs abgelöst», stellt Thomas Novotny fest. Plattenepithelkarzinome entstehen in den Epithelzellen der Lunge, die für die Schleimproduktion zuständig sind, während Adenokarzinome in den flachen Zellen entstehen, die die Atemwege auskleiden, also in den Bronchien.
Während die Inzidenz von Adenokarzinomen im Vergleich zu Plattenepithelkarzinomen in den USA im Jahr 1950 bei 1:18 lag, betrug sie im Jahr 2010 1:0,64 bei Männern und 1:0,37 bei Frauen.[12] Das Verhältnis kehrte sich um 1990 um.
In Europa und Japan war ein ähnlicher Trend zu beobachten. Auch in Belgien betrug das Verhältnis zwischen den beiden Krebsarten im Jahr 2020 für Männer 1:0,59 und für Frauen 1:0,25.[13] Die niedrigeren Raten von Plattenepithelkarzinomen bei Frauen lassen sich dadurch erklären, dass sie erst in den 1960er Jahren mit der Einführung von Filtern in grösserem Umfang zu rauchen begannen und somit weniger den Schadstoffen ausgesetzt waren, die bei Zigaretten ohne Filter in grösseren Mengen freigesetzt werden und diese Krebsart verursachen.
Frauen haben jedoch ebenso wie Männer den dramatischen Anstieg der Adenokarzinome, der mit der Markteinführung von Filtern einherging, stark zu spüren bekommen. Filter bewirken eine langsamere Verbrennung bei niedrigeren Temperaturen, da weniger Sauerstoff in die Zigarette gelangt. Dies hat zur Folge, dass die Bildung bestimmter krebserzeugender Substanzen wie der durch Nikotin abgeleiteten Nitrosamin-Keton (NNK) zunimmt, die für die Entstehung von Adenokarzinomen bekannt ist.[14]
Hinzu kommt, dass Raucherinnen und Raucher, um die Filterwirkung zu kompensieren, stärker inhalieren, wodurch der Rauch tiefer in die Lunge eindringt und bis in die distalen Atemwege gelangt, wo sich Zellen befinden, die besonders anfällig für die Entstehung von Adenokarzinomen sind.[15] Im Jahr 2014 kam der Surgeon General der Vereinigten Staaten zu dem Schluss, dass die Zunahme von Adenokarzinomen in den USA seit den 1960er Jahren weitgehend auf die Einführung von belüfteten Filtern zurückzuführen ist.
Ein weiterer gesundheitsschädlicher Effekt ist, dass die Filter beim Einatmen winzige Fasern aus Celluloseacetat freisetzen, die mit krebserregenden Substanzen beschichtet sind. «Sie wurden in den Lungen verstorbener Raucherinnen und Raucher gefunden», sagt Debbie Sy, die beim Global Center for Good Governance in Tobacco Control für strategische Fragen zuständig ist.
Dieser Herstellungsfehler ist den Zigarettenherstellern seit langem bekannt. Bereits Anfang der 60er Jahre wurden zahlreiche Studien durchgeführt, die diesen Fehler bestätigten. Philip Morris prägte sogar den Begriff «fall-out», um diese ungewollte Streuung der Filamente zu beschreiben. Die Ergebnisse dieser Studien wurden jedoch nie veröffentlicht. Philip Morris soll Mitte der 90er Jahre sogar die Vernichtung einiger dieser Dokumente verlangt haben.[16]
Trotz der zahlreichen Gefahren, die von Zigarettenfiltern ausgehen, und der Tatsache, dass sie keine positiven Auswirkungen auf die Gesundheit der Rauchenden haben, hat sich die Zusammensetzung von Zigarettenfiltern in den letzten 40 Jahren kaum verändert. Lediglich der pH-Wert wurde so verändert, dass sie nach dem Gebrauch eine bräunliche Färbung annehmen, da die Zigarettenhersteller erkannten, dass dies die Raucherinnen und Raucher in Bezug auf die Wirksamkeit beruhigt. Die Filter wurden auch widerstandsfähiger gemacht oder mit Mentholgeschmack versehen.
In jüngster Zeit hat die Tabakindustrie Filter mit einer Kapsel auf den Markt gebracht, die zerdrückt werden kann, um den Zigaretten ein Aroma zu verleihen, darunter viele bei Jugendlichen beliebte Geschmacksrichtungen wie Apfel oder Erdbeere. Sie wurden in vielen Ländern verboten, unter anderem in der Europäischen Union und im Vereinigten Königreich.[17] In der Schweiz werden sie jedoch weiterhin verkauft. Das Parlament lehnte im vergangenen Frühjahr eine Motion ab, die ein Verbot verlangte.[18]
[1] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21504917/
[4] https://www.industrydocuments.ucsf.edu/tobacco/docs/#id=rthl0118
[5] https://www.industrydocuments.ucsf.edu/tobacco/docs/#id=jthl0038 et Howell CJ Jr., Trott DW, Riley JL, et al. Process for Extruding Plasticized Open Cell Foamed Cellulose Acetate Filters. United States. 4180536 (Patent). 25 December 1979.
[6] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33903277/
[7] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/16973339/
[8] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21504917/
[9] https://www.frontiersin.org/journals/public-health/articles/10.3389/fpubh.2023.1282655/full#ref32
[10] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33903277/
[11] https://www.industrydocuments.ucsf.edu/tobacco/docs/#id=xxcf0115
[12] https://www.frontiersin.org/journals/public-health/articles/10.3389/fpubh.2023.1282655/full#ref32
[13] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6059254/
[14] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6059254/
[15] Ibidem
[16] https://www.jstor.org/stable/20208005