Wie die Tabakindustrie ein Filterverbot verhindern will


Die Interessenvertreter der Zigarettenhersteller haben sich in den Verhandlungen zum Abkommen über Plastik bisher zurückgehalten. Auf diffusere Weise üben sie jedoch Einfluss auf die nationalen Delegationen aus, wie im Fall der Schweiz.


Von den 1’900 Delegierten, die an der jüngsten Verhandlungsrunde der Plastikkonvention teilnahmen, waren zwei Drittel Regierungsvertreter und ein Drittel nichtstaatliche Akteure. «Zu letzteren gehörten sowohl Umwelt- und Bürgerrechtsorganisationen als auch Industrievertreter, darunter Vertreter von Zigarettenherstellern», berichtet Chris Bostic, Public Policy Director der Organisation Action on Smoking and Health (ASH), der an den Verhandlungen teilgenommen hat.

Danielle van Kalmthout, Generalkoordinatorin der belgischen Allianz für eine rauchfreie Gesellschaft, die selbst an den letzten beiden Verhandlungsrunden teilgenommen hat, weiss von nur einem Lobbyisten, der die Interessen der Tabakindustrie bei den Verhandlungen in Kenia im November 2023 vertreten hat. «Die Chemie- und die fossile Energieindustrie waren viel stärker vertreten», betont sie.

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Doch die Tabakkonzerne sind Meister der Tarnung, wenn es darum geht, den Ausgang einer Debatte zu beeinflussen. «Sie intervenieren oft über Organisationen, deren Interessen mit ihren eigenen übereinstimmen, wie zum Beispiel nationale Handelskammern», sagt Debbie Sy, die beim Global Center for Good Governance in Tobacco Control für strategische Angelegenheiten zuständig ist.

Sie versuchen auch, die Haltung der Regierungsdelegationen im Vorfeld der Verhandlungen zu beeinflussen. «Das eigentliche Lobbying findet ohnehin am Rande der offiziellen Gespräche statt, auf den Fluren oder in den Kaffeepausen», sagt Chris Bostic. «Es kommt auch vor, dass sich Lobbyisten in einem Fünf-Sterne-Hotel einquartieren und die Delegierten abends zum Essen einladen.»

Thomas Novotny, Gesundheits- und Umweltexperte an der Universität San Diego mit Forschungsschwerpunkt Tabak, weist zudem darauf hin, dass von einem Filterverbot in erster Linie die Hersteller von Zigarettenfiltern betroffen wären, also Konzerne wie Eastman Chemical Company, Celanese oder Dow Chemical. «Es ist zu erwarten, dass sie sich in den nächsten Verhandlungsrunden einmischen werden», sagt er.

Nichts hindert sie daran, an den Gesprächen teilzunehmen. Im Gegensatz zu den Verhandlungen über gesundheitspolitische Massnahmen, von denen die Zigarettenhersteller gemäss Artikel 5.3 des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs ausgeschlossen sind, gibt es keine entsprechende Bestimmung für Umweltverträge wie den über Kunststoffe.[1]

Eine Resolution des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2017 weist die UN-Organisationen jedoch an, die Einmischung der Tabakindustrie zu verhindern. Der Global Compact der Vereinten Nationen, die Weltgesundheitsorganisation, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und die Weltbank haben Vertreterinnen und Vertreter der Tabakindustrie aus ihren Gremien ausgeschlossen.[2]

Die Schweiz, vertreten durch Rebekka Reichlin, Sprecherin des Eidgenössischen Umweltdepartements, erinnert auf die Frage nach der Beteiligung der Tabakindustrie an den Verhandlungen über das Plastikabkommen daran, dass die Resolution der UNO-Generalversammlung, die das Abkommen ins Leben gerufen hat, die «Bedeutung und Notwendigkeit» betont, dass die Diskussionen nicht nur den UNO-Mitgliedsstaaten, den UNO-Organisationen und den regionalen Organisationen für wirtschaftliche Integration offen stehen, sondern auch «interessierten Parteien».

Die Argumente der Tabakkonzerne werden sich wahrscheinlich auf die gesundheitlichen Vorteile von Filtern und die Möglichkeit der Entwicklung wiederverwertbarer oder biologisch abbaubarer Filter beziehen. British American Tobacco Benelux reagierte umgehend auf die Empfehlung des belgischen Hohen Gesundheitsrates, Filter ab April 2023 zu verbieten, und bezeichnete den Vorschlag als «unrealistisch, ineffizient und kontraproduktiv».

Philip Morris argumentierte, dass dies den europäischen Binnenmarkt verzerren und den illegalen Handel mit Filterzigaretten fördern würde. Cimabel, die die in Belgien und Luxemburg ansässigen Zigarettenhersteller vertritt, erklärte, dass «Studien gezeigt haben, dass das Fehlen von Filtern zu einem Anstieg der von den Verbraucherinnen und Verbrauchern eingeatmeten Toxine führen kann».[3]

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In den ersten beiden Verhandlungsrunden zum Abkommen über Plastik «wurde das Thema Zigarettenfilter von den nationalen Delegationen nur am Rande angesprochen», sagt Danielle van Kalmthout. Hier musste im Vorfeld viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. «Die Verschmutzung durch Filter ist wenig bekannt und Filter werden nach wie vor als Mittel zur Risikominderung angesehen», stellt sie fest. Dennoch zeigten sich viele Delegierte offen für ein Verbot von Zigarettenfiltern.

Die Wende kam in der dritten Verhandlungsrunde. Die Weltgesundheitsorganisation und das Sekretariat des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs veröffentlichten eine Stellungnahme, in der sie ein sofortiges Verbot von Kunststoffen in Tabakprodukten, einschliesslich Verpackungen und E-Zigaretten, forderten. Eine Handvoll Länder, vor allem aus Lateinamerika, haben diese Position ebenfalls öffentlich unterstützt, fügt Danielle van Kalmthout hinzu.

Noch bedeutsamer ist, dass in den im November 2023 veröffentlichten Ergebnissen einer der Kontaktgruppen, die mit der Ausarbeitung des ersten Vertragsentwurfs beauftragt waren, Zigarettenfilter als Beispiel für Kunststoffe genannt werden, die in die Liste der verbotenen Produkte im Anhang des Vertrags aufgenommen werden sollten. «Es ist das einzige Produkt, das namentlich erwähnt wird», erklärt sie. Kriterien für die Aufnahme in die Liste könnten sein: die nicht-essenzielle Natur des Gegenstandes, seine Toxizität, seine Nicht-Recyclingfähigkeit, seine Tendenz, in die Umwelt zu gelangen, und seine fehlende biologische Abbaubarkeit.

Danielle van Kalmthout glaubt, dass die Präsenz von Vertretern der Zigarettenindustrie in dem Masse zunehmen wird, wie die Diskussionen voranschreiten und sich die Verhandlungspositionen herauskristallisieren. «Die Intervention der Weltgesundheitsorganisation und die Erwähnung von Zigarettenfiltern im ersten Vertragsentwurf werden wie ein Elektroschock gewirkt haben», glaubt sie. «Das wird sie veranlassen, offensiver aufzutreten.»

Der Bund seinerseits verschliesst sich einem Verbot von Zigarettenfiltern nicht. «Die Schweiz setzt sich dafür ein, die Produktion von Kunststoffen zu reduzieren, auf nicht rezyklierbare Kunststoffe mit problematischen Zusatzstoffen zu verzichten und problematische und vermeidbare Kunststoffe wie unnötige Verpackungen und gewisse Einwegkunststoffe zu eliminieren», sagt Rebekka Reichlin.

Sie erinnert daran, dass der erste Vertragsentwurf «explizit auf ein Verbot von kurzlebigen Kunststoffen und absichtlich beigemischtem Mikroplastik abzielt, was auch Zigarettenfilter aus Kunststoff einschliessen könnte, sofern diese in einen Anhang des künftigen Abkommens aufgenommen werden».

In seiner Antwort auf eine Interpellation der grünen Waadtländer Nationalrätin Léonore Porchet von Ende 2023 zeigte sich der Bundesrat jedoch ablehnender. «Um ein Verbot von Zigarettenfilter zu rechtfertigen, muss ihre Umweltschädlichkeit eindeutig nachgewiesen werden», so der Bundesrat. «Ein Verbot würde zudem einen starken Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit bedeuten. Der Bundesrat setzt daher bis auf Weiteres auf freiwillige Massnahmen der Wirtschaft.»[4]

Bern ist indes der High Ambition Coalition beigetreten, einem Zusammenschluss von Ländern unter der Führung von Norwegen und Ruanda, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Plastikverschmutzung bis 2040 zu stoppen. Bundespräsident Alain Berset hat anlässlich des Gipfels in Davos im Januar 2023 sogar den Wunsch geäussert, das Sekretariat dieser zwischenstaatlichen Organisation in der Schweiz anzusiedeln. Chris Bostic kritisiert jedoch die «Verwässerung» dieser Koalition durch den Beitritt von Ländern wie der Schweiz, die eher an einem schwachen Vertrag interessiert sind.

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Die Schweizer Delegation, die sich aus vier Personen des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) zusammensetzte, war nach Ansicht der Anti-Tabak-Vertreter für die Argumente der Tabakindustrie empfänglicher als für jene der Umweltschützer. Kris Schürch, Mitautor des Schweizer Teils des Berichts Global Tobacco Industry Interference Index, betont: «Mindestens eine der Teilnehmerinnen nahm auch an einer Reihe von Diskussionsrunden mit Vertretern der Tabakindustrie teil, bei denen es um die Verbreitung von Zigarettenstummeln in der Natur ging.»

Auch der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, Albert Rösti, Mitglied der SVP, ist nicht für seine umweltfreundlichen Positionen bekannt. «Mit seinem Amtsantritt als Vorsteher des UVEK, dem das BAFU unterstellt ist, hat ein klarer Kurswechsel stattgefunden», bestätigt Delphine Klopfenstein Broggini, grüne Nationalrätin aus Genf. Rendez-vous im April 2024 in Ottawa, Kanada, zur Fortsetzung der Verhandlungen…


[1] https://ggtc.world/knowledge/sustainability-and-human-rights/plastics-treaty-process-and-national-policies-a-backgrounder

[2] https://ggtc.world/library/tobaccos-toxic-plastics-a-global-outlook

[3] https://www.frontiersin.org/journals/public-health/articles/10.3389/fpubh.2023.1282655/full

[4] https://www.parlament.ch/fr/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20234458