Wenn die Industrie grüner als grün wäscht


Angesichts der Verschmutzung durch Zigarettenfilter versucht die Tabakindustrie, sich durch die Finanzierung von Reinigungsaktionen und Anti-Littering-Kampagnen zu entlasten. Zudem mischt sie sich in politische Entscheidungsprozesse ein.


Die Zigarettenhersteller sind sich bewusst, dass die Berge von Zigarettenstummeln, die sich auf den Trottoirs und in den Meeren ansammeln, nicht gut für ihr Image sind. Dies hat sie dazu veranlasst, kosmetische Massnahmen zu ergreifen, die sich auf die Entsorgung dieser Abfälle konzentrieren. «Sie hoffen, auf diese Weise drastischere Strafen und einschneidende Massnahmen zur Reduzierung der Raucherzahlen zu vermeiden», sagt Thomas Novotny, Experte für öffentliche Gesundheit und Umwelt an der Universität San Diego, dessen Forschungsschwerpunkt Tabak ist.

So hat Philip Morris im Jahr 2020 eine Kampagne mit dem Titel «Unsere Welt ist kein Aschenbecher» (Our World Is Not An Ashtray) mit einer eigenen Webseite lanciert. Die Seite enthält Informationen über die Verschmutzung durch Filter, Videos von Menschen, die Zigarettenstummel sammeln oder in Kunstwerke verwandeln, und Links zu Aufräumaktionen, die oft von der Industrie mitfinanziert werden.[1]

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Auch die Kampagnen «Keep America Beautiful» und «Keep Britain Tidy», die sich auf das Sammeln von Zigarettenstummeln konzentrieren, werden von der Tabakindustrie finanziell unterstützt. Philip Morris stellte 2021 einen siebenstelligen Betrag zur Verfügung, um die Initiative «Get Your Butts Off Our Streets» im Vereinigten Königreich in Zusammenarbeit mit der Nichtregierungsorganisation Clean Up Britain zu finanzieren. Zudem verteilen die Zigarettenkonzerne vermehrt Einwegaschenbecher und stellen Aschenbecher im öffentlichen Raum auf.[2]

In der Schweiz organisiert die Interessengemeinschaft für eine saubere Umwelt und mehr Lebensqualität (IGSU) jedes Jahr einen Aufräumtag, an dem vor allem Zigarettenstummel gesammelt werden. «Alle Bürgerinnen und Bürger sind eingeladen, mitzumachen. In den Städten werden grosse Plakate aufgehängt, auf denen sich jeder mit seiner Unterschrift gegen das Littering aussprechen kann», erklärt Markus Dick, Leiter der Initiative stop2drop.

Am unteren Rand der Plakate ist ganz klein das Logo von Japan Tobacco International (JTI) zu sehen. Finanziert werden die vom Bundesamt für Umwelt unterstützten Clean-Up-Tage von der Tabakindustrie, namentlich von JTI und Swiss Cigarette, dem Dachverband der Zigarettenhersteller und -händler. In Lausanne wurde der World Cleanup Day des Planeten, eine Bürgerinitiative, die im September stattfindet, von Philip Morris International unterstützt.

Die Beteiligung dieser Akteure ist selten transparent. Delphine Klopfenstein Broggini, Grüne-Nationalrätin aus Genf, ist in diese Falle getappt. Sie erzählt: «Ich war zum Clean-up-Day der IGSU eingeladen und wurde neben einem der Schilder mit dem JTI-Logo fotografiert. Erst später verstand ich, dass es sich um eine Veranstaltung der Tabakindustrie handelte.»

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All diesen Initiativen ist gemeinsam, dass sie Botschaften und Bilder vermeiden, die für Raucherinnen und Raucher unangenehm sein könnten. Die Slogans sind konfliktarm und fordern Raucherinnen und Raucher höflich auf, ihre Zigaretten in einem Aschenbecher zu entsorgen, ohne sie zu stigmatisieren oder zu beschuldigen. Die Kampagne «Keep America Beautiful» zum Beispiel verzichtete auf eine Botschaft, die Raucher eindeutig dazu aufforderte, ihren Müll aufzusammeln, und wählte stattdessen einen Slogan, der sie dazu aufforderte, «mehr nachzudenken», bevor sie ihre Zigaretten in die Natur werfen.[3] Das Bildmaterial vermeidet die Darstellung von Zigarettenstummeln, da diese von Rauchenden als unangenehm empfunden werden.

Ziel ist es, die Diskussion wieder auf die Rauchenden und ihre Abfallpraktiken zu lenken, um eine allgemeinere Debatte über die Notwendigkeit der Förderung der Raucherentwöhnung oder eines Filterverbots zu vermeiden. Rosemary Hiscock, Forscherin der Tobacco Control Research Group an der Universität Bath, die dem Portal Tobacco Tactics angeschlossen ist, erklärt: «Das Problem der Zigarettenstummel wird systematisch so dargestellt, dass die Raucher dafür verantwortlich sind und nicht die Industrie. Sie werden als die einzigen Schuldigen dargestellt und als diejenigen, die die Macht haben, etwas dagegen zu tun.»

Diese Strategie verhindert auch die Auseinandersetzung mit der geringen Wirksamkeit von Strandsäuberungskampagnen oder Zigarettenstummelsammeltagen, bei denen nur ein Bruchteil der weggeworfenen Zigarettenstummel eingesammelt werden kann. Eine echte Sammelpolitik wäre finanziell nicht tragbar.

Eine weitere Massnahme ist die Förderung des Recyclings von Zigarettenstummeln und die Herstellung von biologisch abbaubaren Filtern. Das US-amerikanische Unternehmen TerraCycle, das von Zigarettenherstellern finanziell unterstützt wird, verarbeitet nach eigenen Angaben die gesammelten Zigarettenstummel zu Recyclingprodukten wie Parkbänken, Transportpaletten oder Aschenbechern.[4] Das Unternehmen ist in 24 Ländern aktiv.

Auch in der Schweiz hat die Stiftung SENS eRecycling, die unter anderem von Philip Morris International unterstützt wird, ein Recyclingsystem für elektronische Zigaretten und erhitzte Tabakprodukte aufgebaut. Der Tabakriese mit Sitz in Lausanne hat auch verschiedene Projekte zur Entwicklung von biologisch abbaubaren Filtern unterstützt, wie zum Beispiel jenes der kalifornischen Firma Greenbutts, die einen Filter aus Hanf, Baumwolle und Holzschliff entwickelt hat, der sich nach einer Woche zersetzt.[5]

Bisher haben diese Initiativen jedoch nicht die erhofften Ergebnisse gebracht. Die Stiftung SENS eRecycling gibt zu, dass sie nur etwa 5 % der Einweg-E-Zigaretten recycelt. Diese Zahl könnte in Wirklichkeit noch niedriger sein. Philip Morris International gibt zu, trotz mehr als zehn Jahren Forschung noch keine «vollständig biologisch abbaubare Alternative» gefunden zu haben.[6]

Hinzu kommt, dass die Tabakkonzerne zahlreiche «grüne» Initiativen finanzieren, die gemeinhin als «Greenwashing» bezeichnet werden und nichts mit der Problematik der Zigarettenstummel zu tun haben, «um die Aufmerksamkeit der Konsumentinnen und Konsumenten von der durch ihre Produkte verursachten Umweltverschmutzung abzulenken», betont Thomas Novotny. Zwischen 2014 und 2020 hat Philip Morris International dafür mehr als 13 Millionen US-Dollar bereitgestellt. Unter anderem wurde ein Projekt für den Zugang zu Wasser in Burkina Faso, Mali und Senegal finanziert. British American Tobacco unterstützt die Wiederaufforstung in Brasilien und Bangladesch, Imperial Brands fördert die Bildung in Indien und Altria setzt sich für die Gesundheit von Wasserläufen in den Vereinigten Staaten ein.[7]

Die Tabakindustrie schreckt auch nicht davor zurück, direkt in den politischen Entscheidungsprozess einzugreifen. Als die Europäische Union über ein Verbot von Einwegplastik diskutierte, versuchten Tabakunternehmen die Debatte zu beeinflussen, indem sie Mitglieder der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission trafen und am offiziellen Konsultationsprozess teilnahmen.[8] «Ihr Ziel war die Verhinderung eines generellen Verbots von Zigarettenfiltern, die Einwegkunststoffe sind», so Thomas Novotny.

Die daraus resultierende Richtlinie, die 2019 verabschiedet wurde, verbietet die Filter nicht. Sie sieht lediglich Warnhinweise auf Zigarettenpackungen vor, die auf die Verschmutzung durch Kunststoffe in den Filtern hinweisen.

Darüber hinaus ermöglicht sie den Zigarettenhändlern, sich an Verursacherinitiativen zu beteiligen, die im Rahmen der Richtlinie ins Leben gerufen wurden. «Damit können sie sich als verantwortungsbewusste Akteure präsentieren, die Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sind», betont Lilia Olefir, Leiterin der NGO Smoke Free Partnership, die die Verhandlungen aufmerksam verfolgt hat. Sowohl in Frankreich als auch in Italien, Irland und den Niederlanden wird die Rücknahme von Zigarettenstummeln nun von einer von der Tabakindustrie gegründeten und finanzierten Organisation übernommen.

In der Schweiz wurde die Tabakindustrie durch eine Reihe von Runden Tischen des Bundesamtes für Umwelt (BAFU), zu denen Vertreter der Tabakindustrie eingeladen wurden, in den Entscheidungsprozess einbezogen. Seit 2008 fanden mindestens acht solcher Runden Tische statt. Aus den Sitzungsnotizen vom 11. November 2022 geht beispielsweise hervor, dass Führungskräfte von Philip Morris International, British American Tobacco, Japan Tobacco International und Swiss Cigarette anwesend waren.[9]

«Vertreter von Tabakkontrollorganisationen waren nicht eingeladen», sagt Kris Schürch, Mitautor des Schweizer Teils des Berichts Global Tobacco Index: Intrusion of the Tobacco Industry. Er betont die mangelnde Transparenz des Prozesses, der hinter verschlossenen Türen stattfand und nicht öffentlich kommuniziert wurde.

Rebekka Reichlin, Pressesprecherin des BAFU, erklärt auf Anfrage, dass diese Runden Tische dazu dienten, «den Verbänden und Herstellern die Möglichkeit zu geben, gemeinsam zusätzliche Massnahmen gegen das Littering von Zigarettenstummeln zu entwickeln, die auf freiwilliger Basis umgesetzt werden sollen».

In Wirklichkeit versuche die Tabakindustrie, der Bundesverwaltung die Kampagne «Lara Green» zu «verkaufen», die 2021 von Swiss Cigarette lanciert wurde und deren Botschaften auf Greenwashing hinauslaufen, so Markus Dick. «Auf der Webseite von Lara Green erfährt man, dass der Gummi von Autoreifen die Umwelt mehr belastet als Zigarettenstummel», sagt Dick. Die allgemeine Botschaft ist, dass Zigaretten kein wirkliches Umweltproblem darstellen.

lara green de

Hinzu kommen die häufigen Vernehmlassungsverfahren, zu denen die Tabakindustrie vom Bundesrat explizit eingeladen wird. «Sie werden gezielt an die Vertreter der Tabakkonzerne geschickt, während andere Akteure wie Anti-Tabak- oder Umweltorganisationen systematisch «vergessen» werden», stellt Delphine Klopfenstein Broggini fest.

Die Tabakindustrie verfügt zudem über 27 «Beziehungen» im Parlament – elf Politiker der SVP, zehn der FDP und sechs der Mitteparteien. SVP-Nationalrat Gregor Rutz ist beispielsweise auch Präsident von Swiss Tobacco, der Vereinigung des Schweizerischen Tabakwarenhandels. Mehrere von ihnen haben auch Lobbyistenausweise an Vertreter von British American Tobacco, Swiss Cigarette oder Swiss Tabac vergeben.[10] «All dies schafft für die Tabakindustrie ein Stimmengewicht, mit dem sie die parlamentarische Debatte und die daraus resultierende Gesetzgebung beeinflussen kann», schlussfolgert Delphine Klopfenstein Broggini.


[1] https://www.worldnoashtray.com/en/

[2] https://tobaccotactics.org/article/greenwashing/#:~:text=PMI%20reportedly%20paid%20a%20%E2%80%9Cseven,smokers%20caught%20littering%20cigarette%20ends.&text=The%20campaign%20was%20launched%20in,later%20rolled%20out%20across%20Britain.

[3] https://www.industrydocuments.ucsf.edu/tobacco/docs/#id=tjvw0053

[4] https://www.terracycle.com/en-GB/about-terracycle/

[5] https://tobaccotactics.org/article/greenwashing/#:~:text=PMI%20reportedly%20paid%20a%20%E2%80%9Cseven,smokers%20caught%20littering%20cigarette%20ends.&text=The%20campaign%20was%20launched%20in,later%20rolled%20out%20across%20Britain.

[6] https://www.pmi.com/sustainability/integrated-report-2019/reducing-plastic-litter

[7] https://www.who.int/news-room/events/detail/2022/05/12/default-calendar/talking-trash--behind-the-tobacco-industry-s--green--public-relations

[8] https://files.ggtc.world/uploads/2023-06-02/04-58-49-899556/221107%20Plastics%20Treaty%20Process%20and%20National%20Policies%20A%20Backgrounder%20STPA.pdf.pdf

[9] https://globaltobaccoindex.org/#:~:text=The%20Global%20Tobacco%20Industry%20Interference,the%20World%20Health%20Organization%20Framework

[10] Ibidem