Auf dem Weg zu einem Abkommen über Plastik
Ein Abkommen, das derzeit auf internationaler Ebene diskutiert wird, soll bestimmte Kunststoffe verbieten, vor allem solche, die nur einmal verwendet werden oder deren Notwendigkeit nicht erwiesen ist. Anti-Tabak-Kreise hoffen, dass auch Zigarettenfilter einbezogen werden.
Im März 2022 verabschiedeten 175 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen eine Resolution, in der sie sich verpflichteten, bis Ende 2024 ein internationales Abkommen zur Beendigung der Plastikverschmutzung auszuarbeiten.[1] Mehr als 90 % dieser Staaten haben bereits Massnahmen ergriffen, um Einwegplastik (Trinkhalme, Plastiktüten, Einwegbesteck usw.) zu verbieten. Die Schweiz gehört nicht dazu, doch der Kanton Genf hat kürzlich ein neues Gesetz verabschiedet, das diese ab 2025 in der Gastronomie verbietet.[2]
Das Plastikabkommen hat bereits drei Verhandlungsrunden hinter sich: im November 2022 in Uruguay, im Mai und Juni 2023 in Frankreich und im November 2023 in Kenia. An der letzten Runde nahmen 1’900 Delegierte aus 161 Ländern teil, darunter auch die Schweiz. Dabei wurde ein erster Vertragsentwurf erarbeitet. Das nächste Treffen findet im April 2024 in Kanada statt. Im November 2024 folgt ein letztes Treffen in Südkorea, an dem sich die Delegierten auf einen definitiven Text einigen müssen, der Anfang 2025 an einer diplomatischen Konferenz verabschiedet und anschliessend ratifiziert werden soll.[3]
Für die Tabakkontroll-Kreise ist das Ziel klar. «Wir wollen, dass Zigarettenfilter aus Einwegplastik im Rahmen dieses Abkommens verboten werden», sagt Chris Bostic, Direktor für öffentliche Politik bei der Organisation Action on Smoking and Health (ASH), der an den Verhandlungen teilgenommen hat.
«Dies könnte durch eine dem Vertrag beigefügte Liste geschehen, in der «nicht essenzielle und vermeidbare» Plastikprodukte detailliert aufgeführt und verboten werden», erklärt Bostic und fügt hinzu: «Man kann medizinische Produkte, die von Patienten benötigt werden, und Zigarettenfilter, die für niemanden von Nutzen sind, nicht in dieselbe Kategorie stecken.»
Neben den Vorteilen für die Umwelt würde eine solche Massnahme auch die Raucherentwöhnung fördern. «Wir haben eine Studie durchgeführt, bei der 42 Raucherinnen und Raucher gefilterte Zigaretten gegen ungefilterte eingetauscht haben», erklärt Thomas Novotny, Spezialist für öffentliche Gesundheit und Umwelt an der Universität San Diego, dessen Forschungsschwerpunkt das Rauchen ist. «Nach ein paar Wochen sagten die meisten, dass sie jeden Tag weniger rauchten, weil sie es weniger befriedigend fanden.»
In den Niederlanden gaben 12 % der befragten Raucherinnen und Raucher an, dass sie bei einem Filterverbot mit dem Rauchen aufhören oder weniger rauchen würden. 16 % würden auf filterlose Zigaretten umsteigen, 18 % auf selbstgedrehte Zigaretten mit wiederverwendbarem Filter und 6 % auf elektronische Zigaretten.[4]
Ein Verbot von Zigarettenfiltern im Rahmen des Abkommens über Plastik wäre weltweit einmalig. Die Idee wurde jedoch bereits von mehreren Ländern aufgegriffen. In Neuseeland wurde das Verbot 2021 im Rahmen eines Gesetzes zur Förderung rauchfreier Umgebungen in Erwägung gezogen. Im April 2023 empfahl der Hohe Gesundheitsrat Belgiens der Regierung die Einführung eines solchen Verbots.[5]
Im selben Monat versprachen die Niederlande, sich im Rahmen der Überarbeitung der EU-Richtlinie über Einwegkunststoffe im Jahr 2026 für ein Verbot von Zigarettenfiltern einzusetzen. «Die Niederlande, Frankreich und Irland haben Sondierungsgespräche aufgenommen, um eine Koalition zu diesem Zweck zu bilden», betont Lilia Olefir, Leiterin der NGO Smoke Free Partnership, die das Thema aufmerksam verfolgt.
Nach Ansicht der Tabakkontrollorganisationen sollte das Abkommen über Kunststoffe auch Bestimmungen zur «erweiterten Herstellerverantwortung» enthalten. «Derzeit haben wir eine Situation, in der die Zigarettenhersteller die Verschmutzung verursachen, die Rechnung aber von den Gemeinden und damit letztlich vom Steuerzahler bezahlt wird», bemerkt Thomas Novotny und erklärt: «Diese Logik muss umgekehrt werden».
Die verursachten Kosten sind vielfältig. Dazu gehören das Einsammeln von Zigarettenstummeln im öffentlichen Raum, die Reinigung von mit Tabakresten verstopften Abwasserkanälen, die Behebung von Schäden an Ökosystemen, die Bewältigung der gesundheitlichen Folgen der Verschmutzung und die Einkommensverluste von Unternehmen und Branchen wie Tourismus oder Fischerei, die von einer verschmutzten Natur betroffen sind.[6]
In vielen Ländern gibt es bereits ein System der «erweiterten Herstellerverantwortung» für Güter mit hohem Schadstoffpotenzial wie Batterien, Leuchtstofflampen, Farben oder Elektronikprodukte. Der Verbraucher zahlt beim Kauf eine «Verschmutzungsabgabe» und der Verkäufer verpflichtet sich, die Güter zurückzunehmen und am Ende des Lebenszyklus zu recyceln oder umweltgerecht zu entsorgen.
Damit das System der «erweiterten Herstellerverantwortung» funktioniert, muss jedoch verhindert werden, dass es von der Tabakindustrie vereinnahmt wird. Die Allianz Stop Tobacco Pollution, ein Zusammenschluss von rund 100 Organisationen, die sich gegen die Umweltverschmutzung durch Zigaretten einsetzen, darunter auch AT Schweiz, ist der Ansicht, dass die erweiterte Herstellerverantwortung «obligatorisch und nicht freiwillig» sein und von einer unabhängigen Drittpartei umgesetzt werden muss, um zu verhindern, dass sie von den Tabakkonzernen zu Werbezwecken missbraucht wird.[7]
INC-2 Eröffnung in Paris
Die europäischen Programme, die im Zuge der EU-Richtlinie über Einwegkunststoffe ins Leben gerufen wurden, haben diese Anforderungen nicht erfüllt und dienen nun als Werbeplattform für die Tabakindustrie. In Frankreich hat die Umweltorganisation für die Reduzierung von Zigarettenstummeln im öffentlichen Raum (Alcome), die Zigarettenabfälle in Gemeinden einsammelt, eine Webseite, auf der sie ihre Verbindungen zu Zigarettenherstellern und deren Rolle bei der Gestaltung ihrer Programme hervorhebt.[8]
Ein weiteres Modell wurde von der Stadt San Francisco eingeführt. Da die Kosten für die Beseitigung von Zigarettenstummeln durch die Strassenreinigung auf rund 5,6 Millionen Dollar pro Jahr geschätzt wurden, führte die kalifornische Stadt 2009 eine spezielle Umweltsteuer in Höhe von 0.20 Dollar auf Zigarettenschachteln ein, die im Stadtgebiet verkauft werden.[9] Diese Steuer wurde später auf 1.50 Dollar angehoben.
Eine Handvoll afrikanischer Länder, darunter Gambia, Tschad und Benin, haben ebenfalls eine Umweltsteuer auf Zigarettenschachteln eingeführt, die in ihrem Land verkauft werden. Diese liegt zwischen 0.4 % und 4.2 % des Gesamtverkaufspreises.
Das Abkommen über Plastik wird zweifellos darauf abzielen, das Recycling von Plastikgütern und die Entwicklung biologisch abbaubarer Produkte zu fördern. Zigarettenfilter sollten jedoch von diesen Bestimmungen ausgenommen werden, fordern Anti-Tabak-Kreise. «Um ein effektives Recyclingprogramm auf die Beine zu stellen, müsste man einen Weg finden, die Milliarden von Zigarettenstummeln einzusammeln, die in der Natur verstreut liegen und wegen der Giftstoffe, die sie enthalten, als Sondermüll behandelt werden müssen», erklärt Chris Bostic. «Dann müsste man einen Weg finden, diese Giftstoffe zu extrahieren und in ein wiederverwendbares Material umzuwandeln», so Bostic weiter.
Das bedeutet, dass ein Pyrolyseverfahren angewendet werden muss, ein chemischer Zersetzungsprozess, der grosse Hitze erfordert. Diese Methode ist teuer, schwer in grossem Massstab anzuwenden und energieintensiv.[10] Allenfalls könnten die gesammelten Zigarettenstummel als Baumaterial verwendet werden, wenn sie in Wachs oder Bitumen eingekapselt werden, um die Freisetzung von Nikotin und Schwermetallen zu verhindern.[11]
Bei der Entwicklung biologisch abbaubarer Filter hapert es noch. «Die Tabakindustrie redet seit Jahrzehnten davon, aber bisher ist es ihr nicht gelungen, sie effizient und wirtschaftlich herzustellen», sagt Debbie Sy, zuständig für strategische Angelegenheiten beim Global Center for Good Governance in Tobacco Control. Die wenigen Versuche haben zu Zellulosefiltern geführt, die in der Natur in 2.3 bis 13 Jahren abgebaut werden, während ein Filter auf Plastikbasis 7.5 bis 14 Jahre braucht.[12]
Sy weist darauf hin, dass selbst wenn ein biologisch abbaubarer Filter entwickelt würde, dieser immer noch giftig wäre, da er mit den zahlreichen Schadstoffen des Tabakrauchs imprägniert wäre. Paradoxerweise könnte ein biologisch abbaubarer Filter sogar die Entsorgung von Zigarettenstummeln in der Natur fördern. Bei einer von British American Tobacco organisierten Diskussionsrunde mit Raucherinnen und Rauchern sagte ein Teilnehmer, er wünsche sich die Einführung eines biologisch abbaubaren Filters, weil er dann «die Zigaretten ohne Schuldgefühle auf den Boden werfen» könne.[13] Eine solche Neuerung würde auch gegen Artikel 13 des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs verstossen, der die Einführung attraktiver Neuerungen im Zigarettendesign verbietet.
Diese Positionen, die denen der Tabakindustrie diametral entgegenstehen, dürften in den kommenden Monaten, in denen sich die Konturen des Plastikabkommens abzeichnen, Gegenstand intensiver Lobbyarbeit sein.
[1] https://www.un.org/en/climatechange/nations-agree-end-plastic-pollution
[2] https://www.letemps.ch/opinions/geneve-pionnier-suisse-linterdiction-plastiques-usage-unique
[3] https://www.unep.org/inc-plastic-pollution
[4] https://www.frontiersin.org/journals/public-health/articles/10.3389/fpubh.2023.1282655/full#ref71
[5] Ibidem
[6] https://tobaccocontrol.bmj.com/content/20/Suppl_1/i36
[9] https://tobaccocontrol.bmj.com/content/20/Suppl_1/i36
[11] https://ggtc.world/library/tobaccos-toxic-plastics-a-global-outlook
[12] Joly, François-Xavier, and Mathieu Coulis. “Comparison of cellulose vs. plastic cigarette filter decomposition under distinct disposal environments.” Waste management (New York, N.Y.) vol. 72 (2018): 349-353. doi:10.1016/j.wasman.2017.11.023
[13] https://www.industrydocuments.ucsf.edu/tobacco/docs/#id=rkjp0061