SDG 16
Starke Institutionen für eine gerechte und inklusive Gesellschaft
Das sechzehnte Ziel der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung besteht in der Förderung friedlicher, inklusiver und gerechter Gesellschaften, getragen von wirksamen und rechenschaftspflichtigen Institutionen. Die Tabakindustrie gefährdet die Erreichung dieser Ziele, indem sie ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellt. Sie mischt sich regelmässig in den Entscheidungsprozess der Länder ein, in denen sie ihre Tabakblätter anbaut und ihre Zigaretten verkauft, und schreckt auch nicht davor zurück, Lobbyisten einzusetzen, Kampagnen bestimmter Politikerinnen und Politiker zu finanzieren oder «fertige» Gesetzestexte auszuhändigen.
Allein im Jahr 2018 gaben die Tabakkonzerne und die ihnen angeschlossenen Organisationen 4 Millionen Euro für Lobbyarbeit in der Europäischen Kommission aus. Zum Vergleich: Akteure, die sich für strengere Normen einsetzen, wendeten im selben Zeitraum 25’000 bis 50’000 Euro auf.[1] In der Schweiz kassierten die Gegner der Volksinitiative «Ja zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Tabakwerbung», die am 13. Februar 2022 vom Volk angenommen wurde, laut einer Schätzung von AT Schweiz mindestens 6 bis 7 Millionen Franken von der Tabakindustrie, während das Initiativekomitee lediglich 1,2 Millionen Franken zur Verfügung hatte.
In Brasilien schalteten sich die Tabakkonzerne ein, um die Verabschiedung eines Gesetzes zum Verbot von Zusatzstoffen in Tabakprodukten zu verhindern. Es dauerte zwei Jahre, bis das Gesetz schliesslich 2012 verabschiedet wurde.[2] Ebenso verzögerten sie in Australien die Einführung von Präventionsbotschaften zum Thema Sucht.[3]
Sie fokussieren ihre Bemühungen auf Länder mit niedrigem Einkommen und schwächeren Institutionen. In Kenia dauerte es 13 Jahre, bis 2007 ein Gesetz zur Tabakkontrolle verabschiedet wurde. In Namibia wurde ein ähnliches Gesetz, das seit Anfang der 1990er Jahre diskutiert wurde, erst 2010 eingeführt. In beiden Fällen sind die Verzögerungen auf die Einmischung der Tabakindustrie zurückzuführen.[4]
Die Tabakriesen führen als Argumente den Verlust von Steuereinnahmen, den möglichen Verlust von Arbeitsplätzen und die Auswirkungen auf kleine Geschäfte, die Zigaretten verkaufen, an. In Uganda erklärte British American Tobacco (BAT), dass ein 2015 verabschiedetes Gesetz zur Tabakkontrolle den Agrarsektor dezimieren und das Überleben von 14’000 Landwirtinnen und Landwirten gefährden würde. Um ihre Behauptungen zu untermauern, kündigte BAT ihre Verträge mit 709 Landwirtschaftsbetrieben, die im Wahlkreis des Verfassers des Gesetzes lagen.[5]
Selbst nach Inkrafttreten eines Gesetzes arbeitet die Tabakindustrie weiter daran, dessen Umsetzung zu untergraben. In Kenia hat sie die Behörden davon überzeugt, die Gesundheitswarnungen auf Zigarettenschachteln auf leicht abziehbare Aufkleber zu drucken. In Nigeria intervenierte die Tabakindustrie, um die Definition des öffentlichen Raums einzugrenzen, als das Rauchen dort verboten wurde.[6]
Schlagen diese Versuche der verdeckten Einflussnahme fehl, wenden sich die Tabakkonzerne an die Gerichte. Thailand, Sri Lanka, Nepal, Paraguay, die Philippinen, Uganda, Kenia, Mexiko, Argentinien, Brasilien, Südafrika, Kolumbien und Panama wurden alle von einem Vertreter der Tabakindustrie verklagt, nachdem sie versucht hatten, Gesundheitswarnungen auf ihren Zigarettenpackungen einzuführen, die Werbung für Tabakprodukte einzuschränken oder das Rauchen an öffentlichen Orten zu verbieten.[7]
Obwohl sich diese taktischen Vorgehensweisen in einer moralischen Grauzone abspielen, sind sie legal. Dies war jedoch nicht immer der Fall. Das britische «Serious Fraud Office» ermittelte zwischen 2017 und 2021 gegen BAT und beschuldigte es, Bestechungsgelder an Politiker in Burundi, den Komoren, Kenia und Ruanda gezahlt zu haben.[8]
Der Einfluss der Tabak-Multis zeigt sich auch in internationalen Organisationen, wo sie versuchen, Normen und Verträge zu beeinflussen, die sich auf ihre Geschäfte auswirken könnten. Die Weltgesundheitsorganisation – und das internationale Genf im Allgemeinen – haben sich als beliebte Zielscheiben der Tabakindustrie erwiesen.
Um inkognito zu bleiben, arbeiten die Tabakkonzerne mit Organisationen zusammen, die unter dem Deckmantel der Wohltätigkeit in erster Linie die Interessen der Tabakindustrie vertreten und von dieser massgeblich finanziert werden. Dazu gehören die Stiftung für eine rauchfreie Welt «Foundation for a Smoke-Free World», die 2017 von Philip Morris International gegründet wurde und über zwölf Jahre mit einer Milliarde US-Dollar[9] finanziert wird, die NGO «Eliminating Child Labour in Tobacco-Growing Foundation» (ECLT), die 2000 von Vertretern der Tabakkonzerne lanciert wurde, und das «International Network of Nicotine Consumer Organizations» (INNCO), in dem mehrere Organisationen zusammengeschlossen sind, die sich für elektronische Zigaretten engagieren.
Alle drei haben ihren Sitz in Genf und versuchen immer wieder, sich in die Debatten der in Genf ansässigen internationalen Gremien einzumischen. So gelang es INNCO, die Konferenz der Vertragsparteien des Rahmenübereinkommens der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs im Jahr 2018 zu infiltrieren, indem sie einen Beobachterstatus erhielten.[10] Die ECLT wiederum sicherte sich einen Beraterposten beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, ging Partnerschaften mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ein und hält einen Sitz in der Plattform zur Kinderarbeit des «Global Compact» der Vereinten Nationen.[11]
Ab den 1990er Jahren begannen die Tabakkonzerne mithilfe verbündeter Länder, die Politik zur Regulierung des Rauchens gewisser Staaten im Rahmen der Welthandelsorganisation anzufechten. Ihr Argument ist, dass dies gegen die Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums verstosse. In den Jahren 2012 und 2013 reichten die Ukraine, Honduras, die Dominikanische Republik, Kuba und Indonesien eine Beschwerde gegen die Entscheidung Australiens ein, Zigarettenpackungen ohne Logos einzuführen.[12]
Staaten und internationale Organisationen verfügen mit dem Artikel 5.3 des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs – das die Schweiz noch immer nicht ratifiziert hat – über ein mächtiges Instrument, um dem Einfluss der Tabakindustrie auf ihre Institutionen entgegenzuwirken. Der Artikel verbietet es der Tabakindustrie, sich in die öffentliche Politik im Bereich der Gesundheit oder des Rauchens einzumischen. Bis 2014 hatten zwei Drittel der 130 Vertragsstaaten des Rahmenübereinkommens Massnahmen zur Einschränkung dieser Einmischung eingeführt.[13] Mehrere Länder, darunter Brasilien, Südafrika, Sri Lanka und das Vereinigte Königreich, haben zudem Programme zur Überwachung der Aktivitäten von Tabakkonzernen in ihrem Staatsgebiet lanciert.[14] Die Gegenoffensive wird nicht lange auf sich warten lassen.
[1] https://www.transparency.org/en/news/tobacco-smokescreen-deadly-consequences-of-undue-influence
[2] https://untobaccocontrol.org/taxation/e-library/wp-content/uploads/2019/07/Tobacco-Atlas-2018.pdf
[4] Gilmore AB, Fooks G, Drope J, Bialous SA, Jackson RR. Exposing and addressing tobacco industry conduct in low-income and middle-income countries. Lancet. 2015 Mar 14;385(9972):1029-43. doi: 10.1016/S0140-6736(15)60312-9
[5] Ibidem
[6] Ibidem
[7] Ibidem
[8] https://tobaccotactics.org/wiki/corruption/
[9] van der Eijk, Yvette; Bero, Lisa A.; Malone, Ruth E. (2019): Philip Morris International-funded 'Foundation for a Smoke-Free World': analysing its claims of independence. In Tobacco control 28 (6), pp. 712–718. DOI: 10.1136/tobaccocontrol-2018-054278
[11] https://tobaccotactics.org/wiki/eclt/
[12] Gilmore AB, Fooks G, Drope J, Bialous SA, Jackson RR. Exposing and addressing tobacco industry conduct in low-income and middle-income countries. Lancet. 2015 Mar 14;385(9972):1029-43. doi: 10.1016/S0140-6736(15)60312-9
[14] https://untobaccocontrol.org/taxation/e-library/wp-content/uploads/2019/07/Tobacco-Atlas-2018.pdf