Tabakindustrie verdreht wieder die Wahrheit

Die Tabakkontrollskala 2019 (Tobacco control scale TCS) wurde am 20. Februar 2020 in Berlin anlässlich der 8. Europäischen Tabakkonferenz (Conference on Tobacco or Health) publiziert. Seit 15 Jahren vergleichen die Europäischen Krebsligen (Association of European Cancer Leagues ECL) die Massnahmen, welche die europäischen Länder ergreifen, um den Tabakkonsum zu reduzieren und präsentieren diese in der TCS (www.tobaccocontrolscale.org).

Fehlende Massnahmen in der Schweiz

Die Schweiz hat seit der letzten Publikation 2016 vierzehn Ränge im Ranking verloren und ist nun am Schluss auf Platz 35, gerade noch vor Deutschland. Dieser schlechte Platz beruht hauptsächlich auf einer fehlenden Kohärenz der schweizerischen Gesundheitspolitik gegenüber Tabak- und Nikotinprodukten. In der Schweiz existiert kein einheitliches Mindestverkaufsalter, es fehlen nationale Werbe- Promotions- oder Sponsoringverbote (ausser im Radio und Fernsehen) sowie neutrale Verpackung (plain packaging) und die Möglichkeit für eine Erhöhung der Tabaksteuer ist seit 2013 blockiert. Die Folge davon ist, dass 27 Prozent der Menschen in der Schweiz rauchen. Bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen (15- bis 25-Jährige) beträgt dieser Anteil sogar 32 Prozent. Die Schweiz hat die internationale Rahmenkonvention über die Tabakkontrolle (FCTC) der Weltgesundheitsorganisation WHO von 2004, welche gemeinsame gesetzliche Mindeststandard definiert, als letztes Land in Europa (ausgenommen Andorra, Liechtenstein und Monaco), bislang nicht ratifiziert.

Vorbildliche Massnahmen im Vereinigten Königreich

Das Vereinigte Königreich war 2016 das dritte Land weltweit, das neutrale Verpackungen eingeführt hat und ein Päckchen Zigaretten kostet dort heute 9.50 Franken (zum Vergleich: In der Schweiz kostet es im Schnitt 8.10 Franken bzw. die billigste Marke 5.50 Franken, trotzt eines rund 80 Prozent höheren Preisniveaus). England, Schottland, Wales und Nordirland haben zudem das Rauchen in Autos verboten, wenn Kinder und Jugendliche mitfahren. Das Vereinigte Königreich hat das WHO FCTC Zusatzprotokoll zum illegalen Handel mit Tabakprodukten 2018 ratifiziert.

Tabaklobby setzt Behauptungen in die Welt

Ein paar Tage nach der Publikation des TCS begann ein allgemein bekannter Lobbyist der Tabak- und Nikotinbranche die Ergebnisse der TCS zu verdrehen, um für seine elektronischen Zigaretten zu werben.

Der Lobbyist behauptet, das gute TCS-Ergebnis für das Vereinigte Königreich sei teilweise auf den Schadensminderungsansatz der Gesundheitsbehörden zurückzuführen. Dieser empfehle Raucherinnen und Rauchern, die Schwierigkeiten beim Rauchstopp haben, zu elektronischen Nikotinabgabeprodukten zu wechseln. Unglücklicherweise sei die Schweiz weit weg von dem innovativen und wissenschaftsbasierten Ansatz des Vereinigten Königreich. Sie würde fortfahren, sich blind für ineffektive Massnahmen einzusetzen.

Die Realität sieht anders aus

Elektronische Zigaretten werden in der Schweiz offensiv angeboten und verkauft. Da sie auf Bundesebene gesetzlich nicht geregelt sind, können sie in 24 von 26 Kantonen legal an Minderjährige verkauft werden. Ebenso fehlen Werbe-, Promotions- oder Sponsoringeinschränkungen vollständig. Von der Tabaksteuer sind die E-Zigaretten ausgenommen. Von welchen ineffektiven Massnahmen der Lobbyist spricht bleibt eine offene Frage.

Irreführende Aussagen der Lobby

Der Lobbyist gibt vor, seine Produkte könnten auf Grund einer doppelten Überprüfung nur an Erwachsene verkauft werden: Wenn eine Person das Produkt online kaufe, werde das Alter ein erstes Mal überprüft, dann nochmals, wenn das Produkt ausgeliefert werde. Die Wirklichkeit ist jedoch eine andere: Elektronische Zigaretten werden häufig von jungen Menschen konsumiert. 51% der 15-jährigen Jungen haben mindestens einmal eine E-Zigarette verwendet, bei den Mädchen gleichen Alters sind es 35% (HBSC-Studie 2018).

Der Lobbyist behauptet zusätzlich, es würden hunderte von verdeckten Käufen durchgeführt, um zu überprüfen, dass seine Produkte nicht an Minderjährige verkauft würden. Eine Aussage, die wir nicht überprüfen können, sondern bei der wir uns auf das Wort des Lobbyisten verlassen müssen. Vertrauenswürdige Testkäufe werden durch von den Kantonen beauftragte unabhängige Organisationen durchgeführt, und nicht von den Firmen, die ihre eigenen Produkte verkaufen.

Noch lächerlicher ist, dass der Lobbyist bekräftigt, dass die Werbung für seine Produkte nur Raucherinnen und Raucher anvisiere, die älter als 28 Jahre alt seien. Wir sind erstaunt, dass die Industrie solch selektive Werbekampagnen entwickeln und durchführen kann.

… zur gleichen Zeit in Washington …

Am 5. Februar 2020 fand eine Anhörung im US-amerikanischen Kongress statt, mit dem Namen «Vapen in den USA: Einfluss der Hersteller von elektronische Zigaretten auf die öffentliche Gesundheit»1. Die Chefs der fünf grössten Produzenten von elektronischen Zigaretten (inklusive jener die vom Lobbyisten angepriesen wird) mussten einer nach dem anderen zugeben, dass Nikotin abhängig macht.

Der Chef von Altria, jenem Tabakgiganten der 35 Prozent an JUUL hält, gab wage Antworten auf Fragen zum Einfluss von E-Zigaretten auf die Gesundheit und genauer auf die Atmung und den Herzkreislauf. Er musste jedoch zugeben, dass sein Produkt schädlich sein kann (« it can cause harm »). Die elektronischen Zigaretten sind bekannt dafür, dass sie Schwermetalle und Feinstaub, der tief in die Lungen und Atemwege eindringt, sowie weitere giftige und krebserregende Substanzen beinhalten. Gefragt nach dem Feinstaub antwortete der CEO von JUUL, dass er nicht mit dem Feinstaub-Problem vertraut sei (« I am not familiar with ultra-fine-particles). Von einem Chef eines der führenden Produkte des Marktes von elektronischen Zigaretten, der verständlicherweise seine Produkte verteidigt, ist so eine Antwort fahrlässig, wenn nicht skandalös.

Eine klare Spaltung zwischen JUUL und den anderen Herstellern trat anlässlich der Anhörung ans Tageslicht. Es war speziell JUUL, die angeschuldigt war, junge Menschen anzuvisieren, durch ihr Marketing und durch den Gebrauch von Influencern, sowie die Verbreitung ihres Produkts als ein Mittel zum Rauchstopp. Der Präsident einer anderen Marke hat sich klar von solchen Praktiken distanziert, ohne seinen kommerziellen Wettbewerber namentlich zu nennen.

Im Oktober 2019 zog JUUL jene Geschmacksrichtungen (Mango, Crème, Berry) vom amerikanischen Markt zurück, von welchen ausgegangen wird, besonders attraktiv für junge Leute zu sein. Diese Aromen sind derzeit weiterhin frei auf dem Schweizer Markt erhältlich.

Am 26. Februar 2020 eine Koalition von 26 US-Gliedstaaten, darunter Connecticut, Florida und Texas, bekannt, dass ihre Staatsanwaltschaften eine Untersuchung gegen JUUL eröffnen. Im Zentrum stehen das Marketing und die Verkaufspraxis von JUUL, vor allem in Bezug auf junge Menschen. Der Staat Massachusetts hat vor kurzem Klage gegen JUUL eingereicht. Grund dafür sind Firmendokumente die zeigen, dass JUUL z.B. bei Cartoon-Sendern bzw. -netzseiten Werbeplätze gekauft hat und sich an Jugendliche und Kinder wendet.

Tabak- und Nikotinlobby ist kein Partner in der Gesundheitspolitik

Die gemachten Aussagen verdrehen nicht nur die Resultate des TCS, welche elektronische Zigaretten nicht direkt berücksichtigt, sondern zeigen, dass sich die Methoden der die Tabaklobby zur Beeinflussung der Menschen nie geändert haben. Ziel des Lobbyisten ist es, einen «Dialog» zu eröffnen. Er will Teil der Diskussion sein. Andere Tabakfirmen geben vor, für eine «rauchfreie Welt» zu kämpfen und unseren Verstand «entrauchen» zu wollen. Seit Jahren versucht die Tabakindustrie hartnäckig und systematisch, als Akteur und Partner in der Gesundheitspolitik anerkannt zu werden. Ihr Ziel ist eine «Rauchwand» vor die Erkenntnisse der Wissenschaft zu legen.

Gegen solche Versuche haben wir seit langem eine klare Position: Mit einer Industrie, die schädliche Produkte fördert, die über Jahrzehnte die Menschen und die Gesundheitsbehörden anlog, und die beständig darauf zielt, neue Generationen von Nikotin (einer der stärksten Suchtsubstanzen) abhängig zu machen, lehnen wir jeden Dialog ab.

Wir rufen alle Player des Gesundheitssystems auf, Art. 5.3 der internationalen Rahmenkonvention über die Tabakkontrolle (FCTC) weiterhin als Massstab zu nehmen: «Bei der Festlegung und Durchführung ihrer gesundheitspolitischen Massnahmen in Bezug auf die Eindämmung des Tabakgebrauchs schützen die Vertragsparteien diese Massnahmen in Übereinstimmung mit innerstaatlichem Recht vor den kommerziellen und sonstigen unberechtigten Interessen der Tabakindustrie.»

  1. März, 2020

Luciano Ruggia, Geschäftsführer at Schweiz

PS: Lesen Sie auch die zusätzlichen Berichte und Informationen auf STOP (Stopping Tobacco Organizations & Products): https://exposetobacco.org

1 House Committee on Energy & Commerce, Hearing on "Vaping in America: E-Cigarette Manufacturers' Impact on Public Health", Whashington DC, Wednesday, February 5, 2020, https://energycommerce.house.gov/committee-activity/hearings/hearing-on-vaping-in-america-e-cigarette-manufacturers-impact-on-public

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